Stand 17.12.2018, 5.41 Uhr
Abendpost deckt auf: Pflanzliche Arzneimittel oft mit tierischen Inhaltsstoffen
In modernen Zeiten wie heute bezeichnet sich der Mensch als aufgeklärt, dennoch blüht der — legale — Handel mit unsinnigen oder wirkungslosen Arzneimittel wie → Homöopathie oder die unwirksame Hustenmittel und natürlich die Nahrungsergänzungsmittel. Die Hersteller verdienen sich in dem Milliardenmarkt dumm und dämlich. Schon im Mittelalter verkauften Quacksalber allerlei "Wundermitteln". Man könnte meinen, es hätte sich etwas geändert. Leider nein.
Heute wollen wir uns mit dem Thema "pflanzliche Arzneimittel" widmen, in denen investigative Journalisten tierische Inhaltsstoffe gefunden haben. Wer rechnet schon bei einem als pfanzliches Arzneimittel angepriesene Produkt mit Leichenteilen? Wer will denn so etwas zu sich nehmen? Die Hersteller nutzen eine Gesetzeslücke zur Verbrauchertäuschung.
Nehmen wir das Beispiel Kneipp® Johanniskraut Dragees H. Schaut man sich die Verpackung an, findet man fünfmal(!) die Angabe "pflanzlich" (Vorderseite: 1x "Traditionelles pflanzliches Arzneimittel", Rückseite: 2x "Traditionelles pflanzliches Arzneimittel" und 1x "enthalten einen traditionellen, pflanzlichen Wirkstoff", Seite: 1x "Traditionelles pflanzliches Arzneimittel").
Erst in der inliegenden Packungsbeilage findet der Anwender den tierischen Inhaltsstoff, hier: "Schellack wachsfrei".
Was ist Schellack?
Die Lackschildlaus Kerria lacca ernährt sich vom Pflanzensaft der Pappelfeige. Bei der Verdauung produziert die weibliche Laus ein Harz, das sie langsam ganz umhüllt. In dieser Schutzblast aus Harz bringt sie ihre Jungen zur Welt. Die Mutter stirbt in ihrem Gehäuse und die Jungen bohren sich ins Frei. Bei der Schellackgewinnung wird das Harz vom Holz getrennt, gemahlen und gewaschen. Die Produzenten warten in der Regel nicht, bis die Tiere tot sind. In der Vergangenheit wurden bis zu 50.000 Tonnen pro Jahr "produziert". Heute werden in der Farben- und Lackindustrie mehr als 5.000 Tonnen Farben auf Schellackbasis produziert. Für ein Kilogramm des Lacks ist das Sekret von etwa 300.000 Lackschildläusen notwendig. Weiter findet sich Schellack in Nahrungsmittel und Pharmazeutika, als Bestandteil gelber bengalischer Lichter und vieles mehr. Das Überzugsmittel wird auch oft nur mit "E 904" angegeben.
In dutzenden weiteren "pflanzlichen Arzneimittel" (Nahrungsergänzungsmittel) finden sich tierische Inhaltsstoffe:
→ Kneipp® Baldrian Extrakt (Schellack)
→ Kneipp® 3-Kräuter Entwässerung (Kapselhülle aus Rindergelantine)
→ telesept Johanniskraut Kapseln (Gelantine)
→ zirkulin Johanniskraut Dragees H (Schellack)
→ Abtei Johanniskraut-Rotöl (PZN: 4430795) (Gelantine)
Was ist Gelantine?
Gelantine ist eine Mischung aus Proteinen, die aus kollagenhaltigen tierierischen Inhaltsstoffen wie Haut, Bindegewebe oder Knocken von Schweinen oder Rindern gewonnen wird. Gelantine wird als Geliermittel in der Lebensmittelindustrie eingesetzt oder auch in Nahrungsergänzungsmitteln.
Der Hersteller Kneipp® informiert auf seiner Homepage, welche ihrer Produkte tierische Inhaltsstoffe beinhalten: → https://www.kneipp.com/de_de/services/faqs-an-kneipp/produkte-ohne-tierische-bestandteile/
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) unterscheidet zwischen "Wirkstoff" und "Hilfsstoff".
Laut § 4 (19) Arzneimittelgesetz (AMG), sind Wirkstoffe die Stoffe mit arzneilich wirksamen Bestandteilen. Hilfsstoffe (z.B. Gelantine) dienen dazu "Arzneistoffe in entsprechende Arzneiformen zu überführen" (Hunnius, Pharmazeutisches Wörterbuch 2014).
Bei "pflanzlichen Arzneimitteln" regelt § 4 (29) AMG weiter: Pflanzliche Arzneimittel sind Arzneimittel, die als Wirkstoff ausschließlich einen oder mehrere pflanzliche Stoffe oder eine oder mehrere pflanzliche Zubereitungen oder eine oder mehrere solcher pflanzlichen Stoffe in Kombination mit einer oder mehreren solcher pflanzlichen Zubereitungen enthalten.
Die Angabe "traditionelles pflanzliches Arzneimittel" bezieht sich nach dem Arzneimittelgesetz nur auf den Wirkstoff und nicht auf die verwendeten Hilfsstoffe in einem Arzneimittel. Hilfsstoffe sind nicht von der o.g. Definition zu Wirkstoffen erfasst.
Bereits 2014 hat foodwatch über 100.000 Unterschriften an das Bundesernährungsministerium übergeben, in denen Verbraucher gegen "versteckte Tiere" protestierten. Damaliger Bundesernährungsminister war Christian Schmidt (CSU). Getan hat sich bis heute nichts. Immer noch finden sich versteckte tierische Inhaltsstoffe wie z.B. Schwein oder Wild in Chips, ohne dass dies irgendwo angegeben wird.
Mittlerweile haben an der Aktion fast 150.000 Verbraucher an der Aktion teilgenommen.
Der zuständige Abteilungsleiter für Ernährungspolitik im Bundesernährungsministerium, Dr. Klaus Heider, lehnt eine Pflicht-Kennzeichnung für tierische Bestandteile ab: "Für das geeignete Mittel der Verbraucherinformation hält das BMEL (Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft) eine freiwillige Kennzeichnung". Eine Pflicht-Kennzeichnung schließe das EU-Recht "aktuell aus" (Stand 2014).
Quelle: → https://www.foodwatch.org/de/informieren/versteckte-tiere/aktuelle-nachrichten/100000-unterschriften-gegen-versteckte-tiere-uebergeben/
Was ist der Unterschied zwischen Arzneimittel, (traditionell) pflanzliche Arzneimittel und Nahrungsergänzungsmittel?
Auch wenn in vielen Drogerien Nahrungsergänzungsmittel als "Arzneimittel" verkauft werden, sind sie es doch nicht. Es gibt Unterschiede.
Arzneimittel durchlaufen ein staatliches Zulassungsystem. Sie sind auf Sicherheit und auf ihre Wirksamkeit getestet. Arzneimittel erhalten Sie ausschließlich in der Apotheke.
(Traditionell) pflanzliches Arzneimittel fallen unter die Kategorie Nahrungsergänzungsmittel.
Nahrungsergänzungsmittel durchlaufen kein staatliches Zulassungsverfahren und werden weder auf Sicherheit noch auf Wirksamkeit hin kontrolliert. Es reicht eine Bestätigung des Herstellers, dass die Produkte nicht gesundheitsschädlich sind. Nahrungsergänzungsmittel fallen unter Lebensmittel und sind in Drogerien und Supermärkten erhältlich, immer häufiger auch in Apotheken.
Das Portal klartext-nahrungsergaenzung.de der Verbraucherzentrale befragte 1.000 Verbraucher zu Nahrungsergänzungsmittel:
▶ Rund ein Drittel haben in den letzten sechs Monaten ein Nahrungsergänzungsmittel verwendet.
▶ Etwa die Hälfte glauben, dass die Produkte die Gesundheit fördern.
▶ Fast die Hälfte glauben, dass die Produkte auf ihre Wirksamkeit und Sicherheit staatlich geprüft wurden (obwohl das nicht der Fall ist).
Die ÄRZTEZEITUNG berichtet, dass der Markt für Nahrungsergänzungsmittel (NEM) auch 2017 gewachsen ist: Nach Umsatz um 5,0 Prozent auf 1,2 Milliarden Euro (zu Verkaufspreisen) und nach Absatz um 4,2 Prozent auf 172 Millionen Packungen. Das meldet das Beratungsunternehmen Iqvia. Stand Juni 2018
Weitere Informationen finden Sie hier:
→ https://de.wikipedia.org/wiki/Traditionelles_pflanzliches_Arzneimittel
→ https://de.wikipedia.org/wiki/Nahrungserg%C3%A4nzungsmittel
Richtlinie 2004/24/EG zu "traditionellen pflanzlichen Arzneimitteln":
→ https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32004L0024&qid=1541759893108&from=DE
Vegan lebende Menschen müssen das Vitamin B12 als Nahrungsergänzungsmittel zu sich nehmen. Doch Vorsicht! Viele Hersteller von Vitamin B12 sind nicht vegan. Oft finden sich tierische Inhaltsstoffe wie Schellack oder Gelantine, ohne dass dies auf der Verpackung angegeben wird.
Vegane — rein pflanzliche Arzneimittel, ganz ohne tierische Inhaltsstoffen erkennen Sie an der Kennzeichnung VEGAN. Als Positivbeispiel sei hier Vitamin B12 von Doppelherz genannt:
Wobei hier die — evtl. nicht vorhandene — Wirksamkeit nicht beachtet wurde.
Achten Sie auf das Vegan Zeichen:
∎