Fünfzehn Jahre kursierten Verschwörungstherorien und spekulierten Ufologen, bei der kleinen Atacama-Humanoid Alien Mumie (kurz Ata), könnte es sich um einen kleinen Außerirdischen oder ein jahrtausendalter Zwergmensch oder gar auch einen Primaten handeln. Der Dokumentarfilm "Sirius" wollte die kleine Mumie als Alien enthüllen. Nun ist das Rätsel gelöst.
Die Atacama-Mumie, auch "Atacama-Humanoid", kurz Ata, wurde 2003 von Oscar Muñoz in 56 km Entfernung von der chilenischen Stadt Iquique bei La Noria in der südamerikanischen Atacamawüste gefunden (ausgegraben). Die Geisterstadt wurde 1931 aufgegeben, als die Salpetermine geschlossen wurde. Der derzeitige Eigentümer der Mumie ist der spanische Geschäftsmann Ramón Navia-Osorio.
Die etwa 13 Zentimer große, teilweise mit Gewebe überzogene Mumie wurde in der Ufo-Szene gefeiert: Das "Ding" gleicht einem Menschen, passt aber mit dem deformierten Schädel, den übergroßen Augen und überlangen Armen zu den gängigen Vorstellungen über Außerirdische.
Erste Untersuchungen fanden schon 2013 durch Garry Nolan statt, einem renommierten Professor für Mikrobiologie, Immunologie und Genforscher an der Stanford University. Nolan und Kollegen aus anderen Fächern wie Kinderröntgen und Anthropologie untersuchten es auf DNA und Gewebe. Wobei das trockene Klima die Konservierung begünstigt hatte. Schon damals kam man zu dem Schluß, dass es klar als Mensch der Gattung Homo sapiens einzustufen sei und das Alter der Mumie nur auf höchstens einige Jahrzehnte geschätzt: "Es ist ganz klar, dass dies eine echte Probe ist (...) das ist nicht etwas, was jemand zusammengeklebt hat."
Seltsam an der Ata Mumie, das sie nur zehn satt zwölf Rippenpaare hatte, Zustand und Dichte der Wachstumsfugen an den Knochen der Beine ein Alter von fünf bis zehn Jahren andeuteten, die Größe der Mumie und die offene Stirnnaht allerdings einen Fötus der 22. bis 24. Schwangerschaftswoche.
Nolan folgerte, die Person könne zwergwüchsig geboren und im Kindesaler nach den erwähnten fünf bis zehn Jahren gestorben sein; sie könne aber auch schon im Mutterleib an einer extremen Form von Progerie (frühzeitige Alterung) gestorben sein; dabei war vielleicht eine Vergiftung im Spiel, die die Deformation ausgelöst haben könnte, wie zum Beispiel Contergab.
DNA-Analysen ergaben, das die Mumie zu 91 Prozent menschlich ist. Die fehlenden neun Prozent erklären sich durch Abbauprozesse während der Lagerung.
Andere Studien widerlegten teilweise Nolans Hypothesen wie die vermeintlich fortgeschrittene Entwicklung der Knochenfugen oder die kleinen "unechten" Rippen Nummer elf und zwölf — es sind die untersten des Brustkorbs und reichen nicht bis vor zur Mitte der Brust.
Die Forscher kamen zu dem Schluß, dass Ata ein Mädchen war. Bereits als Fötus hatte die einige bekannte, wenn auch sehr seltene genetische Fehlbildungen von Skelett und Muskulatur, auch infolge der Progerie. Ihre Mutter erlitt vermutlich in der Gegend vor höchsten 40 Jahren einen Abort, also eine vermutliche Früh- oder Totgeburt und die in La Noria abgelegt.
Das deckt sich mit den Aussagen des Entdeckers Oscar Muñoz. Er gab an, das Skelett nahe der Kirche in La Noria gefunden zu haben — eingewickelt in ein weißes Tuch mit einem violetten Band verschnürrt.
Der Paläoanthropologe William L. Jungers von der Stony Brook University nimmt an, dass Progerie den Fötus befallen hatte, was eine Fehlgeburt auslöste. Dies widerspricht der Analyse von Garry Nolan, wonach die Mumie in der Kniefuge Epiphysenkerne ausweist. Das sind Knochenkerne, die sich erst im Laufe der Kindheit herausbilden. Demnach wäre der Mensch nicht tot oder sterbend zur Welt gekommen, sondern sechs bis acht Jahre alt geworden.
Im weiteren Verlauf seiner Analysen gab er jedoch bekannt, dass er nicht mehr so ganz von seiner anfänglichen Hypothese überzeugt sei. Jürgen Spranger, der auf Anfrage die Röntgenaufnahmen der Mumie untersucht hat, zweifelt am Befund über Atas Lebensalter. So sprächen die in den Kniefugen gefundenen Epiphysenkerne dafür, dass Ata mehrere Jahre gelebt hat, dafür fehlten aber diverse Verknöcherungen, etwa in den Händen sowie am Schambein, die bei einem Kind eigentlich vorhanden sein müssten. Seiner Ansicht nach handle es sich um einen Fötus in etwa der 24. Schwangerschaftswoche, der wahrscheinlich am sogenannten Wiedemann-Rautenstrauch-Syndrom gelitten habe. Allerdings liegt für das Wiedemann-Rautenstrauch-Syndrom bislang keine bekannte Genetik vor. Der Experte für Skelettfehlbildungen Ralph Lachman, der die Mumie zusammen mit Nolan untersuchte, gab in seinem Bericht bekannt, dass sie Mutationen im Skelett aufweist: "Dieses Exemplar lässt sich in keine mir bekannte Art von Störungen oder Syndromen einordnen. (...) Es gibt keine bekannte Form des Kleinwuchses, die alle bei diesem Exemplar auffälligen Anomalien erklären könnte (...) Keine dieser Mutationen sind dafür bekannt, alle beobachteten Anomalien hervorzurufen."
Die größten Anomalien sind laut Lachman: a) die Größe, die nicht zum scheinbaren Alter von 6 bis 8 Jahren passt; b) das Vorliegen einer Mittelgesichtshypoplasie; c) die Unterentwicklung des Kiefers; d) das Vorliegen von nur zehn Rippen (Menschen haben normal zwölf, selten elf).
Weiterhin stellt Lachmann fest, dass die Proportionen des Rückens und der Extremitäten in vielerlei Hinsicht normal seien.
Eine im März 2018 in der Fachzeitschrift Genome Research erschienene wissenschaftliche Publikation von Wissenschaftlers der Stanford University und ihre Kollegen von der University of California in San Francisco kam zu dem Schluss, dass es sich bei der Mumie um ein offensichtlich schwer missgebildetes weibliches Neugeborenes gehandelt habe, das in den 1960er Jahren entweder tot geboren oder kurz nach der Geburt gestorben sei. Die genetische Analyse zeigte zahlreiche Mutationen in Genen, die für die Knochenentwicklung wichtig sind. Mutationen in diesen Genen führten bekanntermaßen zu schweren Skelett- und Muskelanomalien und Zwergwuchs. Dadurch sei es zu erklären, dass das Knochenreifungsalter deutlich älter erscheine, als es wohl in Wirklichkeit sei.
Ihren Erstbefund zum Alter von Ata mussten die Wissenschaftler revidieren: Die schweren Stoffwechselerkrankungen haben wahrscheinlich dazu geführt, dass die Knochen bereits vor der Geburt anfingen zu verknöchern. Das Kind sei aber eindeutig vor der Geburt, als Fötus, gestorben.
Über die Gründe, warum das Kind zu schwere Deformationen hatte, konnten die Forscher nur spekulieren: "Wir können nur spekulieren, aber der Körper wurde in La Noria gefunden, einer von vielen verlassenen Städten der Atacama-Wüste, in denen Nitrat abgebaut wurde." Das habe möglicherweise zu den vorgeburtlichen DNA-Schädigungen geführt, zumindest eine Rolle gespielt.
Ähnliche Funde sind der "Atta Boy", der ebenfalls in der Atacamawüste 1933 gefunden wurde und der 1996 in Russland gefundene Aleshenka.
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