Nostradamus, latinisiert für Michel de Nostredame, (* 14. Dezember 1503 in Saint-Rémy-de-Provence, Frankreich, † 2. Juli 1566 in Salon-de-Provence) war ein französischer Arzt, Apotheker und Astrologe.
Nostradamus verfasste vor über 500 Jahren eine Reihe von mehrdeutigen Versen in Gruppen zu je 100 Vierzeilern (Quatrains). Noch heute versuchen Menschen aus den Centurien des Nostradamus die Zukunft herauszulesen. Dabei waren die Verse nie eindeutig und können auf eine Vielzahl von vergangenen Ereignissen und auch künftige Geschehnisse angewendet werden. Die Propheiungen des Nostradamus sind vergleichbar mit heutigen Horoskopen in Zeitungen: Jeder kann seine Wahrheit hineininterpretieren.
Allerdings ist nicht genau belegt, ob er wirklich das Medizinstudium abgeschlossen hat oder Astrologie studiert hat. Bei der Erstellung von Horoskopen unterlief Nostradamus schwerwiegende Fehler wie Planeten in falschen Zeichen usw. Nostradamus selbst nannte sich nie Astrologe, sondern "astrophile" (Sternenfreund).
Bei seinen Prophezeiungen (Centurien) wurde festgestellt, das viele seiner Prophezeiungen Paraphrasen historischer Texte sind, die z. B. aus "De honesta disciplina" des Petrus Crinitus, dem "Liber prodigiorum" des Iulius Obsequens, oder dem "Mirabilis Liber" von 1523, einem Bibelkommentar, stammen.
In seinen Versen nennt Nostradamus nur zweimal ein konkretes Datum: 1999 (Sonnenfinsternis) und 3797 ("von heute bis ins Jahr 3797").
Der Philosoph Max Dessoir brachte es auf den Punkt: "Das Wunder bei Nostradamus ist nicht sein Text, sondern die Auslegekunst seiner Erklärer".
Selbst Faust, Goethes Held, kam bei seiner Suche nach den Welträtseln an Nostradamus nicht vorbei: "Und dies geheimnisvolle Buch, von Nostradamus' eigner Hand, ist dir es nicht Geleit genug?". Vergeblich suchte er in der Philosophie, Medizin, Justizerei und Theologie nach Erkenntnis. Am Ende, Szene in der Tragödie Erster Teil, materialisiert sich ein Erdgeist aus Nostradamus' Zauberbuch, bleibt aber jede klare Antwort schuldig.
Ganz anders urteilte der Aufklärer Voltaire. Für ihn war er "der erste Prophet, der erste Schurke, der einem Dummkopf begegnete". Zu allen Zeiten habe es solche Lügner gegeben, "Sybillen und Gestalten wie Nostradamus".
Der französische Dichter Pierre Corneille dachte vermutlich auch an Nostradamus, als er 1680 in "Le Feint Astrologue" die Sterndeuter parodierte: "Er betrachtet den Himmel in finsterster Nacht, wälzt ein dickes Buch und malt tausend Figuren." - Dunkelheit, Dreistigkeit und Beschwörung des Zufalls.
Weiter ging der calvinistische Reformator Theodore de Bèze (1519-1605). Er komponierte aus dem Namen Nostradamus einen lateinischen Spottspruch: "Nostra damus cum falsa damus, nam fallere nostrum est; et cum falsa damus, nil nisi nostra damus". Zu Deutsch etwa: Wir geben das Unsere, wenn wir Falsches behaupten, denn Falsches zu sagen ist unsere Art; und wenn wir Falsches geben, geben wir das Unsere.
Was war Nostradamus denn nun? Scharlatan oder Prophet? Auf seiner Grabplatte in Salon ist zu lesen: "Hier ruhen die Gebeine des hochrühmlichen Michael Nostradamus. Er allein ward unter allen Sterblichen für wert befunden, unter dem Einfluss der Sterne mit geradezu göttlich inspirierter Feder vom künftigen Geschehen der ganzen Welt zu verkünden".
Für seine Anhänger schrieb Nostradamus eine Art Kursbuch für den Lauf der Welt. Die Münchner Abendzeitung schrieb vor einiger Zeit: "Auf diesen Augenblick hat die Menschheit schon 450 Jahre gewartet. Wir sind diejenigen, die bald erfahren werden, ob Michel de Notredame, Nostradamus genannt, der berühmte französische Prophet und Mediziner, ein glatter Lügner war. Falls er wahr sagte, erwartet uns Schlimmes. Denn der Juli im Jahr 1999 ist gekommen, jener bedrohliche Termin kurz vor der Jahrtausendwende, über den der Seher in seinem prophetischen Werk "Centurien" einst ausdrücklich berichtete."
"Ausdrücklich" stimmt in diesem Fall. Nostradamus nennt nur selten konkrete Jahresangaben wie 1999, in seinem sonst verschwommenen Werk. Zwischen 1555 und 1558 verfasste Nostradamus 942 vierzeilige Verse, so genannte Quatrains. Jeweils hundert davon bündelte er zu einer "Centurie", die fehlenden 58 Vierzeiler der VII. Centurie blieben ungeschrieben.
Grammatikalisch willkürlich und in der Vermengung einer Vielzahl poetischer Stilmittel, erwecken die "Centurien" dennoch den Eindruck einer geheimnisvollen Komposition aus Druckerschwärze und Sternenstaub.
Dieser Vers klingt nach Katastrophen. Torschlusspanik angesichts des magischen Datums 1999 befiel nicht nur Schwärmer und Apokalyptiker, sondern auch den international anerkannten Wissenschaftler Alexander Tollmann. Der ehemalige Leiter des Geologischen Instituts der Universität Wien erwartete die schockierende Dynamik des Weltuntergangs um den 11. August 1999 herum, dem Tag der totalen Sonnenfinsternis in Europa: zuerst Dritter Weltkrieg, dann Einschlag eines riesigen Kometen.
Als sich die Menschheit statt vor ihren Schöpfer zu treten in spezialbebrillter Partystimmung zeigte, war Tollmann fassungslos: "Es ist so unglaublich, dass das alles nicht geschehen ist", erklärte er. "Nostradamus hat bisher zu hundert Prozent Recht gehabt. Er hat alles beschrieben, etwa Hitler."
Wirklich? In den "Centurien" ist nirgendwo von "Hitler" die Rede, sondern nur von "Hister", dem alten Namen für die Donau. Der "große Schreckenskönig" jedoch tauchte im Sommer 1999 wirklich auf. Seine Regentschaft währte genau zwei Minuten.
Verschwörungstheoretiker könnten jetzt meinen, dass Hitler am Inn geboren wurde, welche in die Donau fließt. Und genau darum geht es bei Nostradamus. Seine Angaben sind so verschwommen, dass die Verse auf eine Vielzahl von Ereignissen gedeutet werden können.
"Dass Nostradamus inzwischen zum populärsten Astrologen weltweit aufgestiegen ist, ist ein Phänomen, das er selbst nicht vorhergesagt hat", erklärt die Leiterin des Nostradamus-Museums in Salon-de-Provence, Jacqueline Allemand — und wird durch das Internet bestätigt. In der Woche nach den Attentaten vom 11. September war "Nostradamus" die absolute Nummer eins unter den Anfragen bei den Suchmaschinen.
In Salon de Provence, 40 Kilometer südlich von Avignon bezog Nostradamus 1547 ein großes Haus, gründete eine Familie und hier wurde er bekannt.
Danach veröffentlichte er absatzstarke Schriften wie "Das Schminken und die Gerüche", "Die Kunst des Einmachens" wie auch Gesundheitsratschläge und Rezepte für Liebestränke. Dann verdient sich der angesehene Arzt mit jährlichen Almanachen sein Geld — einer Art früher Esoterik-Literatur: Sie reicht von Wetterregeln über den richtigen Zeitpunkt für den Bartschnitt bis hin zu den Geschicken der Reichen und Mächtigen in Abhängigkeit von den astrologischen Vorzeichen - Einer Art Boulevard-Blatt. Der Erfolg seiner "Vorherverkündigungen" ist leicht verständlich: In einer unbeständigen Welt bilden Vorhersagen Fixpunkte, verschaffen Gewissheit und sind damit tröstlich.
In einer Nacht im Jahr 1555 steigt Nostradamus ins Obergeschoss hinauf, wo sich sein Arbeitszimmer befindet. Er lässt sich auf einen dreibeinigen Messingstuhl fallen und rührt mit einem Lorbeerzweig in einer wassergefüllten Wahrsageschale und beginnt, seine Centurien zu schreiben:
Darin erscheinen seine Prophezeiungen als Tagträume oder Phantasien. Bei Licht besehen, geht es in den "Centurien" um sterbende Könige, fallende Festungen und göttliches Missgeschick, um Verbrechen und Terror, Blut und Pest, Tod und Blut.
Oder künden sie von Hitler, Stalin, Napoleon, der Tschernobyl-Katastrophe, den beiden Weltkriegen, der Mondlandung und sogar dem Terroranschlag auf das New Yorker World Trade Center? Es ist ein an absurde Poesie und dadaistische Sprachspielereien erinnernder Tod, in dem die Nostradamus-Texte gehalten sind — der aber für die Interpretation den Vorteil hat, dass sich im Nachhinein fast alles hineingeheimnissen lässt.
Ein Beispiel:
Als sich Jean-Charles de Fontbrune vor etwa 20 Jahren über die Schriften von Nostradamus beugte, übersetzte er den Quatrain wie folgt:
"Die Linke wird an die Macht kommen. / Man wird entdecken, dass ihre Feinde Verschwörer sind. / Mehr denn je wird ihre Zeit triumphieren, / doch nach drei Jahren und siebzig Jahren steht ihr der sichere Tod bevor." Fontbrune deutete den Vers so: Die von linken Ministern regierte Fünfte Republik werde "spätestens im September 1984" blutig zusammenbrechen. Wie kommt Fontbrune auf die Linke? "La déchassée", teilte er mit, sei ein "Tanzschritt, der nach links ausgeführt wird, im Gegensatz zum chassée, der mit einer Rechtswendung verbunden ist.
Es ist der gleiche Vers, in welchem Théophile de Garenciéres im 17. Jahrhundert eine eindeutige Vorhersage der glücklichen Wiedereinsetzung des englischen Königs Karl II. (1660-1685) erkannte. Der Richter und Mörder seines Vaters Karl I. seien die erwähnten etwa siebzig Anhänger Oliver Cromwells, die man damals zum Tode verurteilt habe. (Tatsächlich wurden aber sechs hingerichtet.)
Für den Nostradamus-Interpreten Charles les Ward (19. Jahrhundert) beschreibt der Seher von Salon in VI, 74 jedoch die Inthronisation, die Regentschaft und den Heimgang von Königin Elizabeth I. (1558-1603). Jahres H. Brennan, wie Fontbrune ein Deuter aus unserer Zeit, hat wieder etwas ganz anderes im Sinn und übersetzt:
"Sie, die abgesetzt wurde, wird wieder zur Herrschaft zurückkehren. / Ihre Feinde wurden unter den Verschwörern gefunden, / mehr als jemals zuvor wird ihre Zeit voller Triumphe sein. / Dreiundsiebzig bis zum Tod mit großer Gewissheit."
Dieser Vierzeiler, so Brennan, werde im Allgemeinen Elizabeth I. zugewiesen, "obwohl sie mit siebzig, und nicht, wie der Vers konstatiert, mit dreiundsiebzig starb. Ich glaube, eine viel bessere Kandidat wäre Benazir Bhutto, die Geschichte machte, als sie Pakistans erste weibliche Premierministerin wurde, dann aber durch Präsidentenerlass aus dem Amt entfernt wurde."
"Verklausuliert und dunkel ist zumeist der Sinn oder aber sowieso abwesend, ohne dass er sich verflüchtigen musste", handelte eine "Kulturgeschichte der Missverständnisse" die Prophezeiungen des Nostradamus als klassischen Fake ab. Zu Unrecht: Nichts deutet darauf hin, dass der raunende Provenzale ein Gaukler und Betrüger war. Allerdings dürfte es den Nostradamus-Fans spätestens seit der Enttäuschung von 1999 schwerfallen, echte paranormale Fähigkeiten für ihr Idol zu reklamieren.
Von "natürlichem Instinkt" schreibt Nostradamus in einem Brief an seinen König, Heinrich II. von Frankreich. Seinem Sohn César hinterlässt er in der Vorrede zu den Centurien: "Noch eines, mein Sohn, da ich den Begriff Prophet verwendet habe: Ich will mir in heutiger Zeit den Titel so großer Erhabenheit nicht zulegen. Denn wer heute Prophet genannt wird, hieß ehedem Seher. Denn der eigentliche Prophet, mein Sohn, ist jener, welche Dinge sieht weit entfernt von jeder natürlichen Kenntnis." Kein Prophet also, sondern ein "Seher" im Wortsinn?
Als Michel de Nótredame am 14. Dezember 1503 als Erstgeborener der angesehenen Notars-Familie Notredame in Saint-Remy-de-Provence das Licht der Welt erblickte, scheinen die vier Reiter der Apokalyse Aufstellung bezogen zu haben.
Das geschlossene christliche Weltbild fällt in Trümmer. Gerade ein Jahrzehnt zuvor hat Christoph Kolumbus Amerika entdeckt. 1491 fertigte Martin Behaim in Nürnberg den ersten Globus. Die Erfindung des Buchdrucks hat das Wissensmonopol der Klöster ausgelöst. Die drei mächtigen Nationalstaaten Spanien, Frankreich und England beherrschen Europa und verzetteln sich in immer neue Kriege und undurchschaubare Bündnisse. Bald wird der Augustiner-Mönch Martin Luther gegen die Korruption in der römischen Kirche rebellieren und zu einer radikalen Reform aufrufen.
Nach dem Willen seiner Eltern soll Michel Arzt werden. Angeblich seine beiden Großväter, wahrscheinlich aber ein Hauslehrer, unterrichteten ihn schon früh in Latein, Griechisch, Hebräisch, Mathematik und Astrologie. Sicher ist, dass Michels Großvater väterlicherseits ein jüdischer Kaufmann namens Vidono Gassonet war, der in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zum Katholizismus konvertierte. Weil Vidono Gassonet in der Marienkirche Notre-Dame-da-Principale zu Avignon die Taufe empfing, nannte sich die Familie fortan Nostredame. Diese Schreibweise entspricht dem Provenzalischen, im heutigen Französisch heißt es "Notredame".
Mit 19 Jahren schreibt sich Michel de Notredame an der Universität Montpellier ein und lateinisiert seinen Nachnamen zu Nostradamus. 1525 hält der schwarze Tod Einzug in die Stadt, und Nostradamus unterbricht sein Studium, um sich als Heilgehilfe nützlich zu machen. Hellsichtig weigert sich der junge Medicus, die Kranken zur Ader zu lassen — und rettet damit nicht nur vielen Patienten, sondern vielleicht auch sich selbst das Leben. Denn unwissentlich unterbricht er so die Infektionskette der Pest, die auch durch Köperflüssigkeiten übertragen wird.
Als Nostradamus vier Jahre später endlich zum Doktor der Medizin promovieren kann, eilt ihm längst der Ruf als unerschrockener Pestarzt voraus. Der berühmte Universalgelehrte Julius Caesar Scaliger ruft den 31-Jährigen nach Agen. Nostradamus richtet eine lukrative Praxis ein und heiratet ein 14-jähriges Mädchen, das ihn zum Vater seines Sohnes und einer Tochter macht.
Doch dann sterben Frau und Kinder an Diphterie. Die Patienten bleiben aus. Mit dem strengen Rationalisten Scaliger überwirft er sich; vermutlich ging es dabei um das übersteigerte Interesse des Nostradamus für die Astrologie. 1538 verlässt er Agen-de-Provence und wandert bis 1547 ziellos durchs Land und lebte von der Herstellung von Kosmetika, angeblich potenzsteigernden Mitteln und Verjüngungselixieren — durch Krieg, Pest und religiöse Zerrüttung. Wegen seines regen Interesses an den Geheimwissenschaften muss er sich vor der Inquisition in Acht nehmen.
Heinrich II., König von Frankreich, richtet am Pariser Hof eine Doppelhochzeit für seine Tochter Elisabeth und seine Schwester Margarethe aus. Zu den Feierlichkeiten gehört auch ein Freundschaftsturnier, bei dem Heinrich die Lanze mit einem Hauptmann seiner Leibgarde kreuzt, dem schottischen Grafen Montgomery. Unter Hufgedonner preschen die beiden Pferde mit ihren bewaffneten Reitern die Schranken entlang. Die Lanze des Königs verfehlt ihr Ziel, und Montgomerys Lanze trifft im falschen Winkel auf den Schild des Königs. Sie splittert, rutscht nach oben ab und dringt durch Heinrichs Visier.
Zehn Tage später stirbt der König an seinen Wunden. Vier Jahre vor dem tragischen Ereignis hatte Nostradamus geschrieben:
"Seit dieser prophetischen Glanzleistung war noch zu Lebzeiten der gemachte Hellseher", applaudierte 1981 sogar "Der Spiegel". Wirklich? "Der berühmte Quatrain ist von Zeitgenossen nicht einmal wahrgenommen worden", behauptet der renommierte französische Historiker Georges Minois. Und das mit guten Grund: Heinrich II. und Graf Montgomery waren gleichaltrig und Letzterer kein König, also kein "Löwe". Außerdem spielte sich das Drama mitnichten auf "kriegerischem Feld" ab.
Im Jahr 1555, als Nostradamus diese Verse schrieb, war vielmehr Heinrich II. der "junge" und Karl V. mit seinem goldenen Helm — der römisch-deutsche Kaiser, der sich mit den Franzosen heftige Kriege lieferte — der "alte" Löwe. Gemeint hatte Nostradamus also das Gegenteil dessen, was die Interpreten hineinlesen: nämlich, dass sein König Heinrich II. über den Erzfeind siegen möge.
Tatsache ist, dass Heinrichs Gemahlin Katharina von Medici den provenzalischen Propheten im Sommer 1556 an den Königshof St.-Germain-en-Laye befahl — gewiss jedoch nicht, um mit ihm in banger Sorge um das künftige Schicksal ihres Mannes, speziell über den Vierzeiler I, 35 zu sprechen. Die okkultgläubige Florentinerin suchte seit frühester Jugend Rat bei Wahrsagern und Zauberern. Sehr beeindruckt scheint sie von Nostradamus nicht gewesen zu sein (wenn sie ihn auch 1564 bei einer Rundreise durch Frankreich noch einmal in Salon aufsuchte und ehrenhalber zum Leibarzt des 14 Jahre alten Königs Karl IX. ernennen wird). Denn der Seher beklagt sich später in einem Brief an einen Freund bitter über das knausrige Honorar von 130 Kronen, das kaum die Reisekosten abdeckte. Für das einfache Volk war er nun der Prophet hoher Herrschaften. Zum endgültigen Triumph für Nostradamus schrieb erst dessen Sohn César die Begegnung mit der Königin und den tragischen Unfall des Königs um. Und zwar 1614 in seiner "Histoire et Chronique de Provence", also 48 Jahre nach dem Tod des Vaters am 1. Juli 1566.
Seitdem tritt jedes Jahr aufs Neue ein nächstbesserer Deuter an die öffentlichkeit, der die dunklen Worte von Nostradamus überbelichtet. Die "feurige Dame" aus V, 65? Nartürlich Marilyn Monroe — weil sie in dem Film "Manche mögen's heiß" mitspielte. Der "große Hintern" aus Vers VI,40? Nartürlich Helmut Kohl — weil er Probleme gerne aussaß. Verständlich also, warum Nostradamus nur falsch interpretiert werden, aber nie irren kann — und damit unangreifbar bleibt.
"All seinen Konkurrenten hatte er das Prinzip voraus, sich nie allzu weit aus seiner prophetischen Deckung hervorzuwagen, sondern sich zu behaupten in einer mit Namen und Scheindaten gesättigten Unklarheit, die alles verraten konnte, aber nichts verriet", schreibt Frank Rainer Scheck in seiner Nostradamus-Biografie.
Zum unsterblichen Mythos um den Renaissance-Himmelsstürmer gehören außerdem: Eine Herkunftslegende, an der sein Bruder Jehan und vor allem sein Sohn César strickten und die aus den Großvätern des Nostradamus fälschlicherweise "Ärzte und Berater" adeliger Herrn macht — obwohl die beiden Kaufleute beziehungsweise Steuereintreiber waren.
"Nostradamus war eine sehr interessante, humanistisch und universal gebildete Persönlichkeit, der typische Gelehrte seiner Epoche, obwohl dem Studium der antiken Autoren hingegeben als auch bereit, im Experiment die neue Naturforschung zu erkunden", analysiert der Psychologe und Nostadamus-Forscher Elmar R. Gruber: "In seiner Beschäftigung mit okkulten Dingen und Weissagungen ist er ein Repräsentant jener historischen Schnittstelle, an der das mythische und das rationale Denken auseinander fielen. Er war beiden Welten verpflichtet, und nur unter diesem Gesichtspunkt wird uns sein Werk verständlich." Und so gibt Nostradamus Rätsel auf, die immer wieder aufs Neue gelöst werden können.
Zum Beispiel das Mysterium um den "großen Schreckskönig". Ein Ufo, mutmaßte die Star-Astrologin Elizabeth Teissier 1999 beim Barte des Propheten. Ein neuer Dschingis Kahn aus dem Osten, warnten die Autoren eines Lexikons der "Propheten, Seher, Zukunftsforscher".
Tatsächlich reflektiert Nostradamus in Vers X, 72 nur die Hoffnungen und Sehnsüchte des 16. Jahrhunderts: auf das Erscheinen eines künftigen großen, gerechten, friedliebenden Monarchen nämlich ("König von Anolmois"), den Nostradamus vage in die Nähe des Herrscherhauses Angouleme-Valois rückte.
Und hinter dem vorher am Himmel auftauchende "Schreckenskönig" verbirgt sich nur die totale Sonnenfinsternis vom 11. August 1999, die der astrophile Gelehrte mit den astronomischen Saros-Zyklen fast auf den Monat genau berechnen konnte. Das Datum 1999, nahe dem dritten Jahrtausend, steht bei ihm symbolisch für eine erhoffte Zeitenwende. Oder?
Der Nostradamus-Deuter Manfred Dimde ist überzeugt, dass uns "der große Schreckenskönig" noch bevorsteht. Und zwar als Komet, der "unserer Erde gefährlich nahe kommen" werde. Wann das zu erwarten ist? "Um das Jahr 3100." Eine verbindliche Aussage, ganz nach dem Vorbild des großen Meisters.
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"Nostradamus - Ein Mythos wird entschlüsselt" von Bernd Harder
Ein modernes Nostradamus Experiment führte Clifford A. Pickover durch ("The Antinoüs Prophecies" in Skeptical Inquirer, 25(2001),32 bis 36).). Dabei erzeugte Pickver per Zufallsgenerator absolut unsinnige Verse und schickte diese zu mehreren Pribanden und liess sie deuten. Es fanden alle irgendwelche angeblichen Bedeutungen in diesen Versen, sicherlich ein sehr interessantes psychischen Phänomen.
"Die erstaunlichen Bücher des großen Arztes, Sehers und Schicksalspropheten Nostradamus Ins Dt. übertr. und dem Verständnisse aufgeschlossen" (1850) Scheible/Roesch
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