Januar 13, 2006
Immer noch haben Kirchen in Deutschland eine Sonderstellung. Wenn ein Störenfried eine normale Versammlung stört, passiert ihm nicht viel. Stört er aber eine „Religionsgesellschaft“, kann man mit bis zu drei Jahren Gefängnis rechnen. Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich, steht es im Grundgesetz, nur manche sind etwas gleicher: Gleichberechtigung (†)
Der als „Kirchenstörer von Erfurt“ bekannt gewordene Angeklagte wurde von dem Oberlandesgericht Jena auch der „Störung der Religionsausübung“ für schuldig befunden. Der Angeklagte hatte 2004 den zentralen Festgottesdienst am Tag der deutschen Einheit gestört und im Erfurter Dom die Predigt des Thüringer Landesbischofs Christoph Kähler mit Schreien unterbrochen („Tut Buß“) und mit Flugblättern um sich geworfen. Aufklärer mag die Kirche gar nicht...
„Die evang. luth. Kirche ist zu einer Synagoge des Satans geworden“
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wurde das Berufungsurteil des Landgerichts Erfurt im Schuldspruch dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte des Hausfriedensbruchs in Tatmehrheit mit Störung der Religionsausübung schuldig ist. Hingegen hat der Senat die auf einen Freispruch gerichtete Revision des Angeklagten verworfen.
Das Landgericht hatte den Angeklagten lediglich wegen Hausfriedensbruch verurteilt, nicht aber wegen Störung der Religionsausübung, da nach Auffassung des Berufungsgerichts insoweit das Grundrecht des Angeklagten auf freie Religionsausübung (Artikel 4 des Grundgesetzes) zu beachten sei. Das Thüringer Oberlandesgericht hat sich insoweit der Argumentation des Landgerichts nicht angeschlossen.
In seiner Urteilsbegründung führte der Vorsitzende Richter zunächst aus, dass die Verurteilung des Angeklagten wegen Hausfriedensbruchs zutreffend erfolgt sei. Der Angeklagte sei widerrechtlich in den Erfurter Dom eingedrungen, bei dem es sich um einen abgeschlossenen Raum handele, der dem öffentlichen Dienst bestimmt sei. Wohlgemerkt: Der Gottesdienst war nur für geladene Gäste, darunter Politiker. Das Handeln des Angeklagten sei auch nicht durch die Ausübung des Grundrechts auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit gerechtfertigt gewesen. Eine hier vorzunehmende Güter- und Interessenabwägung führe zu dem Ergebnis, dass das hier ebenfalls betroffene Grundrecht des Domkapitels auf Eigentum, welches auch die Befugnis umfasse zu entscheiden, wer wann und bei welchen Gelegenheiten die Räumlichkeiten des Domes betreten darf, den Vorrang vor der Glaubensfreiheit des Angeklagten genieße. Der vom Angeklagten verübte Hausfriedensbruch stelle nämlich einen Eingriff in den Kernbereich des Eigentumsrechts des Domkapitels dar, während die Bestrafung des Eindringens in den Mariendom die Glaubensfreiheit des Angeklagten nur peripher tangiere. Dieser müsse seinen Glauben nicht überall verwirklichen können, insbesondere nicht an fremden Orten gegen den Willen des Hausrechtsinhabers.
Im Gegensatz zur Auffassung des Landgerichts hat der Senat auch die vom Angeklagten absichtlich begangene Störung des Festgottesdienstes nicht als durch die Ausübung des Grundrechts auf Glaubensfreiheit als gerechtfertigt angesehen. Diesem Grundrecht des Angeklagten stünden unter anderem die Grundrechte auf Glaubensfreiheit der einzelnen Kirchenbesucher und der Veranstalter des Gottesdienstes gegenüber. Dies gelte sowohl für die Freiheit, der eigenen Glaubensüberzeugung entsprechend zu handeln und insbesondere an rituellen Feiern ungestört teilzunehmen als auch für das Recht, sich keine fremden Glaubensüberzeugungen aufzwingen lassen zu müssen. Auch hier sei zu berücksichtigen, dass das Grundrecht des Angeklagten nur peripher betroffen sei, da dieser seine Glaubensüberzeugung nicht notwendig während eines fremden Gottesdienstes lautstark und störend kundtun müsse.
Der Senat hat die Sache zur Festsetzung einer Einzelstrafe für die vom Angeklagten begangene Störung der Religionsausübung und zur Bildung einer Gesamtstrafe an eine andere Strafkammer des Landgerichts Erfurt zurückverwiesen, wobei der Senat festgestellt hat, dass die vom Landgericht vorgenommene Verurteilung wegen Hausfriedensbruches zu einer Einzelfreiheitsstrafe von 5 Monaten nicht zu beanstanden ist.
Thüringer Oberlandesgericht Jena, Urteil vom 13.01.2006, — 1 Ss 296/05 —
§ 167 (StGB) Störung der Religionsausübung
(1) Wer 1. den Gottesdienst oder eine gottesdienstliche Handlung einer im Inland bestehenden Kirche oder anderen Religionsgesellschaft absichtlich und in grober Weise stört oder 2. an einem Ort, der dem Gottesdienst einer solchen Religionsgesellschaft gewidmet ist, beschimpfenden Unfug verübt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Dem Gottesdienst stehen entsprechende Feiern einer im Inland bestehenden Weltanschauungsvereinigung gleich.
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