Wie Politiker und Dax-Unternehmen Einträge bei Wikipedia manipulieren: Wie glaubwürdig ist Wikipedia noch?

02.01.2019

Immer häfiger wird bekannt, dass Politker und auch DAX-Unternehmen unliebsame Passagen in der Onlinebibliothek Wikipedia löschen oder abmildern. Wie glaubwürdig ist die Online-Enzyklopädie Wikipedia noch?

Nazi-Passage gelöscht: Wikipedia sperrt Landtag Sachsen

Ein Nutzer aus dem sächsischen Verwaltungsnetz hat im April 2018 pikante Passagen um Rassismus und Fremdenfeindlichkeit geht im Wikipedia-Artikel über den Freistaat Sachsen gelöscht. Wegen der anonymen Bearbeitung von Einträgen hat Wikipedia daraufhin alle Rechner aus dem Verwaltungsnetz von Sachsen für die Bearbeitung von Einträgen.

Gelöscht wurde der Abschnitt: "Einer Studie der sächsischen Regierung zufolge sind im Vergleich zum Bundesdurchschnitt Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in der sächsischen Bevölkerung deutlich überrepräsentiert." Weiter löschte der gleich Nutzer den Satz: "Ferner gibt es in keinem anderen Bundesland so viele Immobilien, die dauerhaft von Rechtsextremisten zu politischen Zwecken genutzt werden.".

Der Sprecher des sächsischen Innenministeriums, Andreas Kunze-Gubsch, bestätigte, dass der Zugriff aus dem Sächsischen Verwaltungsnetz kam. "Das heißt, alle Ministerien, alle nachgeordneten Behörden und der sächsische Landtag können theoretisch an Rechnern darauf zugegriffen haben." Zum gleichen Netz gehört aber auch die Staatskanzlei.

Da das Innenministerium sei dabei zu recherchieren, ob man es eingrenzen könne. Aktuell seien etwa 62.000 Arbeitsplätze der Landesverwaltung, der Kommunen und der Schulen am Sächsischen Verwaltungsnetz angeschlossen. Doch dann wurden die Ermittlungen eingestellt, eine "weitere Rückverfolgung wäre unverhältnismäßig, da nach erster Prüfung keine Hinweise auf eine strafrechtlich relevantes Handeln oder ein Dienstvergehen vorliegen."

Von dem gleichen Rechner wurden auch Änderungen zur Bewertung von Pegida und zu dem Eintrag des sächsischen AfD-Landtagsabgeordneten Andre Wendt vorgenommen. Dabei wurde anonym der Satz gelöscht, dass Wendt öffentlich die Verfolgung von Homosexuellen als Asylgrund abgelehnt habe.

Auch der Beitrag der früheren DDR-Bürgerrechtlerin Angelika Barbe wurde geändert. Barbe, CDU-Mitglied, war bis vor einem Jahr Mitarbeiterin der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung und Pegida-Mitglied. Im Beitrag wurde aus der "fremdenfeindlichen" Pegida-Bewegung eine "islamkritische".

Wikipedia-Eintrag aus dem Bundestag geändert

September 2017, kurz vor der Bundestagswahl: Eine Analyse des Bayrischen Rundfunks (BR) ergab, dass jede dritte Abgeordnetenseite aus dem Bundestag bearbeitet und immer wieder kritische Passagen gelöscht wurden.

Joachim Pfeiffer (CDU) sitzt seit 2002 im Bundestag. Bis Juni 2017 war er Fan von Atomkraftwerken. So stand es bei Wikipedia: "Joachim Pfeiffer gilt als Befürworter des Einsatzes von Atomkraftwerken." (am 22. Juni 2017). Danach hieß es dann ganz anders: "Die Energiewende bezeichnete er als Umbau der Energieversorgung und drängt in diesem Zusammenhang auf eine schnelle Markteinfü,hrung der Erneuerbaren Energien." (seit 22. Juni 2017). Die erste Passage wurde komplett gelöscht.

Joachim Pfeiffer (CDU) bestätigte gegenüber dem BR: "Da die Bürger ein Recht auf richtige Information haben, wurden veraltete Funktionen und Positionen lediglich vor wenigen Wochen geupdated (sic) und ein neues Foto hochgeladen." Von Einsicht keine Spur...

Bei Lisa Paus (GRUENE) wurde der Bezug zu ihrem "Multimillionär"-Vater entfernt, bei Hartmut Koschyk (CSU) die Information, dass er ein "unter anderem mit Denkmalschutzmitteln in Höhe von 1,4 Millionen Euro" restauriertes Schloss bewohnt.

Der Bayrische Rundfunk hat Artikel von 658 Bundestagsabgeordneten (der vergangenen Legislaturperiode) analysiert und 227 Artikel wurden anonym aus dem Bundestag bearbeitet. In einigen Fällen wurden nur Tippfehler oder kleine Änderungen durchgeführt. Aber immr wieder wurden auch kritische Passagen entfernt und ganze Biographien anonym aus dem Bundestag neu geschrieben.

Bei dem Artikel über Silke Launert (CSU) wurden gleich mehrere Passagen gelöscht, wie zum Beispiel: "Ich zahle lieber ein paar Milliarden für die Flüchtlingscamps, anstatt alle Probleme im eigenen Land zu haben." (Zitat von Silke Launerts Wikipedia-Eintrag, entfernt am 9. August 2017). Kurze Zeit später tauchte die gelöschte Passage wieder auf, um dann wieder aus dem Bundestag gelöscht zu werden. Das ging mehrmals so. Jan Apel, Sprecher von Wikimedia, meint, das sei gar nicht so unüblich, doch Schönfärberei sei nicht erwünscht.

Bei Christoph Bergner (CDU) verschwand der komplette Abschnitt "Kritik".

Dax-Unternehmen manipulieren Wikipedia-Einträge

Die meisten Dax-Unternehmen ändern ihren Wikipedia-Eintrag und entfernen kritische Passagen oder formulieren in um. Und es tun alle: Volkswagen, Daimler, BASF, SAP, Linde, Merck, K+S, aber vor allem aber RWE und der Deutschen Bank sind zahlreiche und erstaunliche Manipulationen durchgeführt worden. Ob von dem Unternehmen selbst oder ein unautorisiertes privates Handeln eines Mitarbeiters vorliegt, kann nicht festgestellt werden. Die betroffenen Konzerne stritten stets ab, die Bearbeitungen veranlasst zu haben. Schwer zu glauben.

Spitzenreiter ist wohl die RWE, die einen ganz seltsame Einstellung zu Kritik vertritt. In dem Abschnitt "Geschichte" finden sich insgesamt 79 Bearbeitungen und in mindestens vier Fällen wurde Kritik entfernt oder entschäft.

2008 wurde im RWE Artikel die Passage gelöscht, RWE habe auf die Anschuldigungen, im Rhein-Erft-Kreis für die Absenkung des Grundwassers in der Region und damit für Folgeschäden an verschiedenen Kulturdenkmälern verantwortlich zu sein, nicht reagiert.

Im gleichen Jahr wurde von dem gleichen Rechner aus, die eindeutig dem Netzwerk des Konzerns zugeordnet werden kann, gleich der ganze Absatz zu den tagelangen Stromausfälen im Winter 2005 gelöscht. RWe war damals als verantwortlicher Netzbetreiber in die Schlagzeilen geraten, nachdem nach Schneefällen mehrere Hochspannungsmasten umknickten und die Stromversorgung über vier Tage in einigen Orten unterbrach.

Wieder RWE: In dem Beitrag über die Castor-Behälter versuchte bis 2008 ein Rechner aus dem RWE-Netzwerk massiv auf den Inhalt des Artikels Einfluss zu nehmen. Nach den Änderungen waren die Behälter zur Lagerung und zum Transport radioaktiver Materialien sehr sicher. Gleich mehrere Passagen wurden regelrecht weichgespült.

Nochmal RWE: Bei dem Eintrag zum Kernkraftwerk Biblis wurde aus dem störanfälligen Reaktor im Juni 2006: "Das Kraftwer Biblis ist ein Meilenstein in punkto Sicherheit.".

Auch bei der Deutschen Bank wurde unliebsame Kritik entfernt.

Volkswagen produziert neben Autos auch Wikipedia-Einträge. Den Eindruck gewinnt man, wenn man die Änderungen aus dem Volkswagen-Netzwerk verfolgt: Ganze Einträge zu bestimmten Produkten und Gesellschaften des Unternehmens wurden neu angelegt, umgeschrieben und kritische Passagen gelöscht wie der Weblink zum Misserfolg des VW Phaeton in den USA.

Auch die Daimler AG hat ein Problem mit Kritik an ihrer NS-Vergangenheit. Ein Benutzer des Daimler-Netzwerkes löschte einen Abschnitt zu Labbying. Der Text der sich unter anderem auf Artikel von Tagesschau.de und Welt.de stützt, informiert darüber, "dass in der Ausschreibungsphase für das milliardenteure deutsche Lkw-Mautsystem in Deutschland ein ranghoher Mitarbeiter von DaimlerChrysler im Bundesverkehrsministerium mitarbeitete".

Nochmal Daimler AG: Hier finden sich Manipulationen bei dem Thema Zwangsarbeit im Nationalsozialismus. Ein Rechner aus dem Daimler-Netzwerk löschte einen Abschnitt zum DaimlerChrysler-Werk in Ludwigsfelde, in dem während des Krieges "11.000 Kriegsgefangene und Zwangsarbeitr für den damaligen nationalsozialistischen Musterbetrieb" arbeiteten und "ein Außenlager des Konzentrationslagers Ravensbrück" existierte. Ein ähnlicher Beitrag zum Werk Berlin-Marienfelde wurde ebenfalls gelöscht.

Auch der Chemiekonzern BASF produziert Wikipedia-Änderungen. Der Eintrag zur BASF Business Service Holdung GmbH änderte den Abschnitt über die "Zeit der Weltkriege" und entschärfte diesen deutlich: Vorher hieße es: "Nach der Ernennung von Adolf Hitler zum Reichskanzler 1933 ging die IG Farben eine Zweckehe mit dem Naziregime ein und profitierte von Mengen- und Preisgarantien, aber auch von den durch die Regierung bereitgestellten Zwangsarbeitern." Nach der Bearbeitung fehlt der Bezug zu Hitler und dem Naziregime. Es ist nur noch von "Regierung" die Rede: "Im Zeichen von NS-Autarkiepolitik und Rüstungswirtschaft profitierte die IG Farben von Mengen- und Preisgarantien, aber auch von den durch die Regierung bereitgestellten Zwangsarbeitern.".

Auch DHL, eine Tochter der Deutschen Post, lieferte im Irak-Krieg nicht nur die Post für die US-Soldaten aus, sondern auch militärische Güter. Deswegen gab es Anschläge auf DHL-Fahrzeuge. Der komplette Abschnitt "DHL im Irakkrieg" wurde aus dem Netzwerk der Deutschen Post AG gelöscht. Und plötzlich habe DHL lediglich die Feldpost in den Irak transportiert.

Ein Rechner aus dem Netzwerk des Softwarehersteller SAP änderte den Abschnitt zum Personalabbau wegen der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise. Daraus wurde dann ein "Einstellungsstop". Damals wurden rund 3.000 Arbeitsplätze abgebaut. In dem Beitrag über SAP wurden von dem gleichen Rechner gleich drei kritische Weblinks entfernt.

Bei Unternehmen wie Linde, Merck oder K+S haben offenbar Wikipedia als Plattform für Firmenwebung missverstanden.

Auch Konzerne wie das Deutsche Rote Kreuz (DRK) hat eine seltsame Einstellungen zu Kritik. Mit Abmahnanwälte geht der Konzern gegen kritische Berichte im Internet vor. Auch Zeitungen sind nicht vor dem Abmahnverein geschützt, so hatte etwa der STERN einen Arikel über die Milliarden-Tochterunternehmen Blutspendedienste des DRK Konzern berichtet. Das DRK erwirkte eine einstweilige Verfügung, weil der kritische Artikel "einseitig" berichtet hätte...

Quellen anzeigen http://blog.wiki-watch.de/?p=3790

Bei den hier aufgeführten Manipulationen handelt es sich nur um den Tropfen auf den heißen Stein. Mit dem Tool WikiWatchdog lassen sich ganz erstaubliche Sachen herausfinden. Wir wünschen viel Spass.